80 bis 90 Prozent aller koronaren Herzerkrankungen sind auf den Lebensstil zurückzuführen.
Die koronare Herzerkrankung fordert jährlich mehr Tote als Krebs und ist in Europa eine der häufigsten Ursachen für einen vorzeitigen Tod. Viele dieser Todesfälle können vermieden werden, denn sie basieren oft auf unzureichenden Diagnosen. Im Marien-Hospital erfolgt die Behandlung deshalb auf höchstem medizinischen Niveau. Prof. Dr. Martin Spiecker, der seit 2005 die Kardiologie im Marler Krankenhaus leitet, stand dazu Rede und Antwort.
Prof. Dr. Spiecker, koronare Herzerkrankungen gehören weltweit zu den verbreitetsten. Was steckt dahinter, und wer ist besonders betroffen?
Bei dieser Erkrankung bilden sich Ablagerungen (Plaques) in den Herzkranzgefäßen, die sich verengen und den Blutfluss verhindern. Brechen sie auf, können sich Blutgerinnsel bilden, die das Gefäß komplett verschließen. Ein Herzinfarkt ist die gefürchtete Folge. Gefährdet sind vor allem Raucher sowie Patienten mit hohem Blutdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel, Diabetes oder hohem LDL-Cholesterin. Hinzukommen nicht beeinflussbare Risiken wie Alter, familiäre Vorbelastung und Geschlecht. Männer erkranken früher als Frauen, die erst mal durch ihre Hormone geschützt sind. Übrigens ist ein erhöhtes LDL-Cholesterin häufig vererbt und trotz gesunder Ernährung dann ein Risikofaktor. Weniger bekannte, vererbte Auslöser sind erhöhte Homocystein- sowie Lipoprotein-Werte.
Bei welchen Symptomen sollte man hellhörig werden, um frühzeitig handeln zu können?
Echte Beschwerden stellen sich erst ein, wenn das Gefäß schon hochgradig verengt oder verschlossen ist: Atemnot, Engegefühl, Druck oder Schmerzen in der Brust, die auch in den Arm ziehen, sich im Kiefer oder zwischen den Schulterblättern bemerkbar machen können, oder sich als Bauchschmerzen zeigen und so nicht immer eindeutig auf das Herz hinweisen. In manchen Fällen tritt Luftnot auch ohne Schmerzen auf. Besonders bei Diabetikern, älteren Menschen und Frauen gibt es häufig diese untypischen Symptome. Oft treten die Beschwerden anfangs nur bei Belastung oder auch Kälte oder seelischer Belastung auf. Spürt man sie bereits bei minimaler Belastung oder im Ruhezustand, kann ein Herzinfarkt bevorstehen.
Wie erfolgt bei Ihnen in solchen Fällen eine präzise Diagnose?
Zunächst ist zu klären, ob die Schmerzen tatsächlich vom Herzen ausgehen oder etwa von Lunge, Rippen, Speiseröhre oder Bauch. Zur Untersuchung stehen uns ein EKG in Ruhe und unter Belastung, spezielle Ultraschall- und nuklearmedizinische Untersuchungen, MRT und CT zur Verfügung. Sie liefern wichtige Anhaltspunkte etwa über Durchblutung, Engstellen und Herztätigkeit. Und bei Verdacht auf einen akuten Herzinfarkt ist die Herzkatheteruntersuchung die wichtigste Untersuchung. Anhand des Beschwerdebildes, eines EKG sowie der Blutwerte wird im Krankenhaus zügig entschieden, wie schnell und ob eine Herzkatheterbehandlung erforderlich ist. Liegen schon im EKG Hinweise vor, dass ein Herzkranzgefäß verschlossen ist, ist diese Untersuchung ohne jede weitere Verzögerung durchzuführen, da das Gefäß zeitnah mithilfe des Katheters und einer sogenannten Ballondilatation und Stentimplantation wiedereröffnet und stabilisiert werden sollte. So kann der Untergang weiterer Herzmuskelzellen verhindert und innerhalb der ersten Stunden nach Beginn des Infarkts das Entstehen einer Herzschwäche hochwirksam und langfristig verhindert oder begrenzt werden.
Was, wenn kein Herzinfarkt vorliegt?
Dann wird zuerst untersucht, ob es Hinweise für eine Durchblutungsstörung gibt. Eine 40bis 50-prozentige Verengung einer Herzader macht im Regelfall keine Durchblutungsstörung. Deshalb kann sie auch durch Verfahren wie ein Belastungs-MRT nicht erkannt werden. Eine Aufdehnung mit einem Ballon oder Stent ist aber auch nicht zu empfehlen, wenn kein Herzinfarkt vorliegt und keine Durchblutungsstörung des Herzens nachgewiesen ist.
Was ist, wenn bei der Herzkatheteruntersuchung unklar ist, ob eine Verengung bedeutsam ist?
Dann kann eine Blutdruckmessung in der Ader vor und hinter der Engstelle weiterhelfen. Das wird mit der sogenannten intrakoronaren Druckmessung gemacht. Nur wenn der Druckabfall hinter der Engstelle einen bestimmten Wert überschreitet, ist für die Patienten eine Beseitigung der Verengung von Vorteil. Ansonsten ist eine Behandlung mit Medikamenten die bessere Wahl. Keine bedeutsame Durchblutungsstörung durch eine 40- prozentige Engstelle bedeutet aber nicht, dass alles in Ordnung ist. Tatsächlich gehen die meisten Herzinfarkte nicht von ganz hochgradigen Engstellen aus, die sich langsam immer weiter zusetzen, sondern von geringen Verengungen, bei denen die äußere Kapsel einreißt und sich dann ganz schnell ein Gerinnsel bildet, das das Gefäß verschließt. Auslöser dafür kann zum Beispiel ein Blutdruckanstieg bei Stress sein. Deshalb ist es so wichtig, intensive vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, wenn Engstellen entdeckt werden, die noch keine Durchblutungsstörung verursachen.
Was genau steckt hinter einem Stent?
Im Katheterlabor des Marien-Hospitals wird meist über einen Zugang vom Handgelenk ein Katheter zur Engstelle im Herzen geschoben. Mit dessen Hilfe wird ein Ballon aufgeblasen, der die Engstelle wieder aufdehnt und ein kleines Röhrchen eingesetzt, um das Gefäß durchlässig zu halten. Beschichtet ist es mit einem Medikament, das eine erneute Verengung verhindern soll. Der Vorteil beim Zugang über das Handgelenk: Der Patient kann danach sofort wieder laufen, und das Blutungsrisiko ist gering. Allerdings ist der Zugang über diese Arterie nicht bei jedem möglich. Übrigens: Nach einer Stentimplantation ist die medikamentöse Therapie höchst individuell. Zum Einsatz kommen ein Thrombozytenhemmer dauerhaft und ein weiterer wegen des Stents für sechs bis zwölf Monate, damit sich keine Gerinnsel bilden.
Welche Medikamente machen außerdem Sinn?
Zur Senkung zu hoher Cholesterinwerte werden Statine eingesetzt. Sie sollen den Folgen zu hohen LDL-Cholesterins, das für die Arterienverkalkung mitverantwortlich gemacht wird, entgegenwirken. Übrigens: Bücher mit Titeln wie ,,Die Cholesterin-Lüge" sind selbst die eigentliche Lüge. Der Nutzen von Statinen bei deutlich erhöhten Werten ist wissenschaftlich nachgewiesen.
Wann ist eine Bypass-Operation nötig, wann muss der Herzchirurg ran?
Das ist häufig bei einer Verengung (Stenose) des Hauptstammes der linken Koronararterie (Hauptstammstenose), bei mehreren hochgradigen Stenosen in drei Hauptästen der Koronararterien (Dreigefäßerkrankung) sowie bei bestimmten anderen Formen der koronaren Herzerkrankung der Fall. Dabei werden Gefäßverengungen und -verschlüsse zum Beispiel mit einer Vene aus dem Bein oder einer Arterie überbrückt. Arterielle Bypässe haben eine höhere Offenheitsrate im Vergleich zu Venenbypässen im Verlauf nach vielen Jahren. Für diese Operation wird in der Regel das Brustbein aufgesägt, in manchen Fällen ist heute aber auch ein minimalinvasiver Eingriff möglich. Natürlich ist eine Bypass-Operation erstmal ein größerer Eingriff als ein Stent. Dafür kann so eine komplettere Wiederherstellung der Durchblutung des Herzens erreicht werden. Während ein Stent jeweils nur eine Engstelle beseitigt, versorgt der Bypass die ganze Arterie.
Und wie kann ich allgemein vorbeugen?
80 bis 90 Prozent aller koronaren Herzerkrankungen sind auf den Lebensstil zurückzuführen. Und den kann man ändern. Falsche Ernährung, Rauchen, Bewegungsmangel - all das führt zu sehr schädlichen Veränderungen der Gefäße. Also: Hände weg vom Tabak, Gewicht normalisieren und klug mit Stress umgehen! Dreh- und Angelpunkte sind neben dem Rauchstopp eine gesunde Ernährung und viel Bewegung.
Sprechzeiten und Kontakt
Sprechzeiten der Kardiologie sind montags und donnerstags von 14 bis 17 Uhr. Sie können über das Sekretariat vereinbart werden. Kontakt: Tel. 02365/911-35105, Fax: 02365/911-35104, mail: innere.kardiologie.marl@kkrn.de. Ina Fischer